Bieterverfahren 2.0

Werner Berghaus

Eine neue Spielart des Bieterverfahrens verspricht eine elegante Vermarktungsvariante

Goethe hat’s erfunden

Im Januar 1797 ließ Goethe seinem Verleger Hans Friedrich Vieweg über einen Vermittler eine Vereinbarung über sein Werk „Herrmann und Dorothea“ zukommen. In einem versiegelten Umschlag hatte der Dichter, der auch ein versierter Ökonom war, seine Honorarforderung notiert.

Der Verleger wurde nun gebeten, sein Angebot für das Autorenhonorar zu unterbreiten. Damit Vieweg auch sein tatsächliches Höchstgebot benennt, hatte sich der Dichter folgende Regelung ausgedacht: Falls das Verlegerangebot niedriger als die Forderung des Autors ist, zieht Goethes Mittelsmann den versiegelten Umschlag ohne weitere Verhandlungen zurück. Bietet der Verleger aber mehr als Goethe verlangt, öffnet man den Umschlag und der Vertrag kommt auf Basis dieser Forderung Goethes zustande. Der Verleger konnte es also riskieren, sein Höchstgebot zu nennen, ohne fürchten zu müssen, zu viel zu zahlen. Er würde statt seines Höchstgebots lediglich den zweithöchsten Preis bezahlen müssen.

@Fricke/ChatGPTGoethe hat’s erfunden

Zweitpreis-Auktion

Fast 200 Jahre später erhielt der kanadische Wirtschaftswissenschaftler William Vickrey zusammen mit James A. Mirrlees für eine ähnliche Variante der Erforschung unterschiedlicher Auktionsmodelle den Nobelpreis. Auf die Forschungen Vickreys geht die sogenannte Vickrey-Auktion oder auch Zweitpreisauktion zurück. Hintergrund der Forschung ist die ungleichmäßige Verteilung von Informationen bei den Teilnehmern einer Auktion und das daraus resultierende Verhalten der Kaufinteressenten und Verkäufer. Solange ein Bieter kaum über Informationen verfügt, wie hoch sein Gebot sein muss, um den Zuschlag zu erhalten, solange wird er nur vorsichtig und in kleinen Schritten bieten, damit er nicht mehr zahlen muss als erforderlich. Gelingt es dagegen, den Nachteil des Informationsdefizits auszuschalten, können die Bieter bereitwillig ihr persönliches Höchstgebot nennen. Dies machte sich auch Goethe zunutze. Der Verleger konnte problemlos sein Maximalgebot benennen und dabei sicher sein, dass es entweder nicht ausreichend hoch ist, also kein Vertrag zustande kommt, oder aber dieser Vertrag auf Basis des zweithöchsten Gebots, nämlich der Forderung des Autors, zustande kommt. Auch Ebay nutzt diese Zweitpreisstrategie, denn der Gewinner einer Auktion zahlt stets nur so viel wie der Zweitbietende, zuzüglich eines geringen Aufschlags für das nächsthöhere Gebot. Wer also 70 Euro für ein Angebot bezahlen würde, zahlt beispielsweise lediglich die 50 Euro des aktuellen Zweitgebots zuzüglich des nächsten Erhöhungsschritts von 5 Euro, also 55 Euro.

Spieltheorie im Bieterverfahren

Es ist die Aufgabe der Spieltheorie, das Verhalten der Marktteilnehmer in verschiedenen Situationen zu erforschen. Am Beispiel des konventionellen Bieterverfahrens lassen sich die unterschiedlichen Fragestellungen leicht beschreiben. Auch hier geht es um die asymmetrische Verteilung von Informationen und den daraus folgenden Konsequenzen. Wir finden beim Bieterverfahren folgende Mitspieler vor: Der Makler hat den Auftrag des Eigentümers, ein Bieterverfahren durchzuführen. Er kennt den Wunschpreis des Eigentümers, nicht aber den Mindestpreis, auf dessen Basis ein Verkauf zustande kommen kann. Der Eigentümer seinerseits benennt seinen Wunschpreis. Den möglichen Mindestpreis, die Schmerzgrenze, wird er weder den Interessenten noch dem Makler bekannt geben.

Solange die Bieter nicht wissen, wie hoch das jeweils aktuelle Gebot ist, werden sie sich mit Angeboten zurückhalten.

Die Bieter dagegen kennen jeweils ihre persönlichen Limits, also auch ihr Höchstgebot für die angebotene Immobilie. Da sie aber nicht wissen, wie hoch ein Angebot sein muss, um den Zuschlag zu erhalten, bieten sie in kleinen Schritten oder zögern ihr Gebot hinaus, wenn eine Gebotsfrist benannt ist.

Informationsdefizite

Auf allen Seiten bestehen also erhebliche Informationsdefizite und Unsicherheiten. Die Bieter werden gezielt vom Makler über die Preisvorstellung des Eigentümers im Unklaren gelassen; das gehört zu den Spielregeln des Bieterverfahrens. Gleichzeitig spüren sie die Konkurrenz anderer Bieter. Beides, das Informationsdefizit und der Wettbewerb mit den anderen Bietern, sollen nun dafür sorgen, dass sich der Höchstpreis findet. Tatsächlich stellen aber viele Kollegen fest, dass sich die Bieter in dieser Situation mit ihren Angeboten zurückhalten. Dies lässt sich aus der vorangegangenen Darstellung der Bietersituation leicht begründen. Denn solange die Bieter nicht wissen, wie hoch das jeweils aktuelle Gebot ist, werden sie sich mit Angeboten zurückhalten, um nicht zu viel zu bezahlen.

Konsequenz fürs Bieterverfahren

Aus diesem Grund wird es notwendig, während eines Bieterverfahrens regelmäßig das aktuelle Gebot zu kommunizieren. Das lähmende Informationsdefizit wird behoben, wenn Bieter regelmäßig E-Mails über die Höhe der Gebote erhalten und sich auch auf der Makler-Homepage über den Stand der Vermarktung erkundigen können. Doch nun wird ein zweites Problem erkennbar: Der Makler übermittelt zwar die Information über das aktuelle Gebot, er genießt aber nicht das Vertrauen der Bieter. Denn der Makler tritt als Agent des Verkäufers auf. Er macht zwar deutlich, dass er über den Zielpreis des Eigentümers keine Kenntnis hat, ob man es ihm glaubt, bleibt jedoch dahingestellt. Dies macht sich besonders in der Endphase eines Bieterverfahrens bemerkbar. Findet sich auf der Maklerhomepage beispielsweise ein aktueller Höchstpreis von 200.000 Euro und empfinden auch die Bieter diesen Preis als marktgerecht, werden sich viele fragen, ob es dieses vermeintliche Höchst gebot, überhaupt gibt und warum der Eigentümer diesem Preis nicht zustimmt. Makler und Eigentümer geraten in den Verdacht, gemeinsam zu pokern, um einen noch höheren Preis zu erzielen.

Was würde Goethe tun?

Wäre Goethe Immobilienmakler gewesen, hätte er das beschriebene Bieterverfahren entscheidend abgeändert. Wie anfangs beschrieben, kommt es aufgrund des Informationsdefizits der Bieter bzw. der anderen Mitspieler nicht zu einem echten Höchstgebot. Goethes Verleger Vieweg hätte niemals sein Höchstgebot preisgegeben, hätte er nicht die Sicherheit gehabt, nur den zweithöchsten Preis zu zahlen. Der zweithöchste Preis lag derweil in Form eines verschlossenen Umschlags auf dem Tisch. Als Immobilienmakler hätte Goethe ebenfalls eine Situation geschaffen, die so konstruiert ist, dass sie den Bietern einen Anreiz gibt, dem neutralen Auktionator ihre wahre Zahlungsbereitschaft darzulegen. Dabei würde man nicht dafür „bestraft“, diesen Preis auch tatsächlich zahlen zu müssen. Auch fehlt das Motiv, mehr oder weniger als die wahre Zahlungsbereitschaft anzuzeigen: Bietet man weniger, sinken die Chance auf den Zuschlag. Bietet man aber einen „Mondpreis“, geht man das Risiko ein, dass der zweithöchste Preis dann über der eigenen Zahlungsbereitschaft liegt – und man mehr zahlen muss, als einem das Objekt wert ist.

Auf die Immobilienbranche übertragen

Konkret hätte „Goethe Immobilien“ die Vermarktung von Wohnimmobilien so durchgeführt:

  1. Die Immobilie wird wie gewohnt im Bieterverfahren angeboten.
  2. In der ersten Runde können sich Interessenten in Form einer offenen Besichtigung über das Angebot informieren. Es wird, im Gegensatz zum gewohnten Bieterverfahren, eine Gebotsfrist mitgeteilt.
  3. Denjenigen, welche Interesse an der Immobilie haben, bietet der Makler eine zweite oder dritte Besichtigung an und stellt ausreichend Informationen zum Objekt zur Verfügung.
  4. Die Interessenten geben ihre Gebote in schriftlicher Form bei einem Notar ab. Der Notar ist an dieser Stelle von entscheidender Bedeutung, weil er, wie oben gefordert, wirklich neutral ist. Würde der Makler die Gebote entgegennehmen, müssten die Interessenten befürchten, dass bei der Ermittlung des Endpreises manipuliert wird. Wie oben beschrieben, ist der Makler schließlich der Agent des Eigentümers. Damit ist er im Sinne des Bieterverfahrens nicht neutral und aus Sicht der Teilnehmer nicht vertrauenswürdig.
  5. Der Notar sammelt bis zum Ende der Gebotsfrist alle Angebote ein und ermittelt das Höchstgebot und ebenso das zweithöchste Angebot.
  6. Der Eigentümer muss entscheiden, ob er sich auf Basis des zweithöchsten Gebots von der Immobilie trennen will.
  7. Stimmt der Eigentümer zu, erhält der Höchstbietende nun den Zuschlag auf Basis des Zweitgebots. Er muss also nur den Preis des Zweitbietenden zahlen, obwohl er selber mehr bezahlt hätte.

Kauf und Reue

Der Höchstbietende wird nun vom Notar oder Makler darüber informiert, dass er den Zuschlag erhalten hat und zu welchem Preis er die Immobilie erwerben kann. Da das Gebot nicht bindend ist, besteht nun zwar die latente Gefahr, dass der potenzielle Käufer von seinem Angebot zurücktritt, dies ist aber wenig wahrscheinlich. Denn der Höchstbietende hat sich mit dem Objekt lange beschäftigt und ein Angebot gemacht, das erfolgreich war. Zahlen muss er nur den Preis des Zweitbietenden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Bieter ausfällt, ist unter diesen Voraussetzungen eher gering. Sollte dieser Fall trotzdem eintreten, steht der Zweitbietende zum gleichen Kaufpreis bereit.

Vor- und Nachteile

Die Beschäftigung mit der Spieltheorie, insbesondere die Betrachtung der vorhandenen Informationsdefizite bei allen Beteiligten zeigt, wo das konventionelle Bieterverfahren Schwächen aufweist und wie man darauf reagieren kann. Die Zweitpreisauktion hält möglicherweise das, was sich viele vom Bieterverfahren versprochen haben, nämlich, sich nicht den Mühen des Verkaufens aussetzen zu müssen. Als problematisch könnte es sich aber erweisen, die Zweitpreisauktion dem Auftraggeber schmackhaft zu machen: Denn mancher Eigentümer wird sich fragen, warum er nur zum zweithöchsten Preis verkaufen soll, wenn doch noch ein höheres Angebot für seine Immobilie vorliegt.


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